Die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG) warnt mit einem drastischen Bild vor einem unkontrollierten Kliniksterben, noch bevor die angekündigte Bundes-Krankenhausreform überhaupt Wirkung entfaltet. Mit einer öffentlichen Aktion hat sie heute in Hannover auf die dramatischen Lasten aufmerksam gemacht, die den Mitarbeitenden der Krankenhäuser aufgebürdet werden. Überdimensionierte Dominosteine drohten dabei auf ein symbolisches Krankenhaus zu kippen und dieses zum Einsturz zu bringen. Die Dominosteine standen sinnbildlich für den milliardenschweren Investitionsstau im Bereich Krankenhausbau, ausufernde Bürokratie, negative Folgen des Personalmangels, enorme inflationsbedingte Kostensteigerungen und bevorstehende Insolvenzen. Die NKG forderte die Bundes- und Landesregierung erneut dazu auf, schnellstmöglich ein Vorschaltgesetz zur wirtschaftlichen Absicherung der Krankenhäuser auf den Weg zu bringen.
„Die Krankenhäuser in Niedersachsen stehen massiv unter Druck. Ohne die maximale Kraftanstrengung, die den Krankenhausbeschäftigten seit Jahren abverlangt wird, wäre der Kipp-Punkt schon längst erreicht und die vor der Tür stehende Insolvenzwelle bereits über die Krankenhäuser hinweggegangen. Lange werden die Kliniken dieser enormen Belastung nicht mehr standhalten können“, mahnte Dr. Hans-Heinrich Aldag, Vorsitzender der NKG in Anwesenheit von Niedersachsens Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi. „Nur durch schnelle und konkrete Hilfe kann eine drohende Kettenreaktion verhindert werden, die unsere umfassende und wohnortnahe Patientenversorgung gefährdet. Aufgabe der Politik ist es, die Krankenhäuser und ihre Mitarbeitenden jetzt mit aller Kraft zu stützen. Sie hat es in der Hand, ein Kippen der Kliniken zu verhindern.“
Verbandsdirektor Helge Engelke betonte: „Wir fordern die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene mit Nachdruck für ein Vorschaltgesetz zur wirtschaftlichen Absicherung der Krankenhäuser einzusetzen. Es ist inakzeptabel, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach dem drohenden Krankenhaussterben tatenlos zusieht. Die Auswirkungen von vermehrten Insolvenzen werden auch in Niedersachsen deutlich zu spüren sein. Daran kann dann auch eine noch so gut gemeinte Krankenhausreform nichts mehr ändern.“
Die NKG geht davon aus, dass in der Folge von Krankenhausschließungen Patientinnen und Patienten mit weiteren Anfahrtswegen und längeren Wartezeiten für Behandlungen und Operationen rechnen müssen. Zudem könnte sich der Fachkräftemangel regional sogar noch verschärfen. Gerade Pflege- und Teilzeitkräfte sind regional stark verankert. „Wir befürchten, dass ein großer Teil dieser Mitarbeitenden sich eine andere Beschäftigung suchen oder in den Vorruhestand gehen wird. Die Belegschaft eines Krankenhauses ist kein Wanderzirkus, der einfach weiterzieht, wenn ein Standort geschlossen wird“, so Dr. Aldag.
Minister Dr. Philippi zeigte Verständnis für die Sorgen der Krankenhäuser. „Unsere Krankenhäuser sind die entscheidenden Eckpfeiler für die stationäre Patientenversorgung. Die geplante Krankenhausreform ist wichtig, um die Qualität der Gesundheitsversorgung langfristig zu sichern. Wir in Niedersachsen sind bereit dafür. Gemeinsam arbeiten wir an dieser Reform. Wir haben gerade die ‚3-Milliarden-Krankenhaus-Investitionsoffensive‘ gestartet, um Kliniken beim Umbau zu unterstützen. Kurzfristige Akuthilfen des Bundes sind jetzt nötig, um gut aufgestellte Kliniken auf dem Reformweg zu stärken. Wir setzen uns in Niedersachsen weiter entschlossen dafür ein, dass Krankenhäuser die benötigten Ressourcen erhalten, um ihre wichtige Rolle im Gesundheitswesen zu erfüllen – immer das Wohl der Patientinnen und Patienten im Blick.“
„Krankenhäuser sind keine Almosenempfänger, sondern haben einen Anspruch auf die Refinanzierung ihrer Betriebskosten. Die bestehende Finanzierungslücke muss schnellstmöglich durch den Bund geschlossen werden. Notwendig sind ein Inflationsausgleich sowie die vollständige Finanzierung von tariflichen Lohnkostensteigerungen“, stellte NKG-Verbandsdirektor Helge Engelke klar. „Die wirtschaftliche Not der Kliniken hat ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, werden wir zeitnah ein Krankenhaussterben erleben“, warnte Engelke.
Umfragen der NKG zufolge erwarten die Krankenhäuser in Niedersachsen im Jahr 2023 ein Defizit von landesweit 532 Mio. Euro. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies mehr als einer Verdoppelung. 2022 betrug das Defizit der Kliniken 217 Mio. Euro. Die Defizite der Krankenhäuser durch mangelhafte Betriebskostenfinanzierung summieren sich in Niedersachsen bis Ende 2023 somit auf rund 750 Mio. Euro. 93 Prozent der Krankenhäuser geben an, 2023 kein positives Jahresergebnis zu erwarten.
Einer Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zufolge blickt der weit überwiegende Teil der Krankenhäuser in Deutschland pessimistisch in die Zukunft. Rund 70 Prozent der Kliniken sehen ihre Existenz kurz- und mittelfristig gefährdet. Fast kein Krankenhaus kann seine Ausgaben noch aus den laufenden Einnahmen decken.