Der Fachkräftemangel trifft auch die Wohlfahrtspflege. Insbesondere die Situation in Kitas und in der Pflege sei herausfordernd, sagt Franz Loth, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen (LAG FW). Lösungsansätze werden diskutiert, etwa eine verkürzte Ausbildung für Erzieher. Von einem Herumschrauben an Qualitätsstandards hält Loth indes wenig.
Herr Loth, auch die Freie Wohlfahrtspflege leidet unter Fachkräftemangel. Welche Bereiche sind besonders betroffen?
Besonders herausfordernd ist die Situation in der Pflege und im Kita-Bereich. Eine weitere Herausforderung sehen wir aber auch in der Behindertenhilfe. Insgesamt ein großes Thema in diesem Komplex ist die Standortfrage, das spüren wir vor allem in entlegenen, ländlich geprägten Regionen.
Welche Probleme gibt es?
Ich will es mal positiv formulieren: Es fällt uns wesentlich leichter, Ärzte in Osnabrücker Krankenhäuser zu bekommen als zum Beispiel ins nördliche Emsland. Auch andere hoch qualifizierte Mitarbeiter, etwa Psychotherapeuten, überzeugen Sie eher von Oldenburg oder Osnabrück als von Haselünne. Dieses Problem trifft jedoch nicht nur uns. Einige Anbieter überlegen deshalb schon, sofern sie denn verschiedene Standorte zu bieten haben, gewisse Stellen an attraktiveren Orten anzudocken.
Warum hat sich das Problem in den Kitas so verschärft?
Die Situation hat sich vor allem durch die Beitragsbefreiung hochgeschaukelt. Das hat die Landesregierung nur zum Teil vom Ende her gedacht. Es war sicher gut gemeint, aber nicht gut gemacht, und das schlägt uns jetzt ins Gesicht. Es werden mehr Kinder angemeldet, die Belastung für die Erzieherinnen in den Kitas wächst, wir haben zu wenig Fachkräfte. Wenn wir jetzt beispielsweise erhöhte Krankenstände in unseren Kitas haben, sind wir gezwungen, tageweise einzelne Gruppen zu schließen. Das löst bei den Eltern verständlicherweise ganz, ganz großen Ärger aus.
Was muss sich ändern?
Wir als LAG FW sind mit Kultusminister Grant Hendrik Tonne im Gespräch, der erheblich unter Druck steht seitens der kommunalen Ebene. Hintergrund ist die Versorgungssicherheit. Nun möchte man den Beruf attraktiver machen, indem man zum Beispiel an den Qualitätsstandards der Ausbildung herumschraubt. Man möchte von vier auf drei Jahre verkürzen.
Was halten Sie davon?
In Teilen können wir das verstehen. Aber wir sagen auch: Vergesst nicht, dass dieser Bereich der frühkindlichen Bildung der Eintritt in die Bildungskarriere ist. Deshalb legen wir sehr viel Wert auf eine gute Ausbildung. Wir müssen aufpassen bei bestimmten Tätigkeiten, zum Beispiel bei hauswirtschaftlichen, erzieherischen oder pflegerischen Tätigkeiten, dass hier nicht der Eindruck entsteht: Das kann ja jeder. Eine Dimension dabei dürfen wir auch nicht aus den Augen verlieren: Es geht hier um Arbeitsplätze, die zu 95 Prozent mit Frauen besetzt sind, nicht selten sind es Teilzeitarbeitsplätze. Wenn wir nun aus diesem Druck heraus mit den Qualifikationsanforderungen runtergehen würden, hätte das auch Folgen bei der Eingruppierung, sprich bei der Bezahlung. Damit hätte es Langzeitfolgen, Stichwort Altersarmut. Wir produzieren damit ganz viele Folgewirkungen, die hochgradig herausfordernd sind.
Was müsste sich ändern, um den Beruf attraktiver zu machen?
Die Arbeitsbedingungen müssen sich ändern. Mit Blick auf harte Fakten wie Arbeitszeiten und Bezahlung muss man sagen: Wir haben einen ganz, ganz bunten Markt, bundesweit und auch in Niedersachsen wird sehr unterschiedlich bezahlt. Wir brauchen eine Verlässlichkeit in der Bezahlung. Zugleich müssen wir aufpassen, dass wir nicht zwei Welten schaffen, indem wir uns von der freien Wirtschaft abkoppeln. Das ist eine der größten Sorgen, dass wir junge Leute auch deshalb nicht mehr anziehen, weil sie mit guten Abschlüssen sehr viel schneller und sehr viel nachhaltiger sehr viel mehr Geld in der freien Wirtschaft verdienen können. Es darf also keine Parallelwelten geben zwischen der freien Wirtschaft und der Sozialwirtschaft und auch keine Parallelwelten innerhalb der Sozialwirtschaft, indem einige tariftreu zahlen und andere sich durchlavieren.
Junge Menschen setzen heute andere Prioritäten als früher, viele wollen nicht mehr Karriere um jeden Preis, Geld ist nicht mehr so wichtig, dafür Flexibilität von Job, Arbeitszeit und Arbeitgeber, um eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen. Spielt Ihnen dieser Zeitgeist n die Hände?
Auf jeden Fall bekommen diese Kriterien immer mehr Bedeutung. Wenn es um die Frage geht, wer Führungskraft werden will, muss man genauer hinschauen, was geht und was nicht. Aber im Grundsatz können wir all das unterschreiben, dieser Zeitgeist spielt uns tatsächlich in die Hände. Viele weiche Faktoren werden immer wichtiger, die jungen Menschen fragen sich: Welche Rückmeldung bekomme ich von Leuten, die dort schon arbeiten? Wie wird da geführt? Ist das noch ein hierarchischer Laden, wo durchregiert wird? Wie ist die Stimmung in den Teams? Kann ich, wenn ich kurzfristig am Wochenende eingeladen werde, aus dem Dienst heraus? Was ist mit Home Office? Was ist mit meiner Gesundheit? Was macht der Arbeitgeber, wenn ein Mitarbeiter psychisch erkrankt, lässt er ihn dann hängen? Das sind teilweise scheinbar banale Dinge, aber all das ist wichtig. Das darf man als Arbeitgeber auch nicht mehr unterschätzen.
Die Regierung hat einen Mindestlohn in der Pflege beschlossen. Eine gute Idee?
Ja, wir finden es eine gute Idee. Es gibt nach wie vor zu viele, die nicht gut bezahlen. Einheitlichkeit ist wichtig. Das beziehe ich ausdrücklich auch auf die Ausbildung, die kostenneutral gestellt werden soll. Diesen Weg finden wir insgesamt gut. Aber auch hier muss man es einheitlich gestalten, nicht scheibchenweise. Wenn sich junge Leute für einen dieser Berufe entscheiden, und nicht bei allen übernimmt der Staat die Ausbildungskosten, ist das kontraproduktiv. So ist zum Beispiel die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger nicht von den Ausbildungsbeiträgen freigestellt. So etwas geht gar nicht mehr.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung, 11.09.2019 – mit freundlicher Freigabe von Franz Loth, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen (LAG FW), Diözesan-Caritasdirektor des Caritasverbandes für die Diözese Osnabrück e.V. (Mitglied in der Gesundheitsregion EUREGIO).
Foto: Dr. Arno Schumacher, Franz Loth, Thomas Nerlinger – von links. Franz Frieling, 22.04.2015 (Veranstaltung Dorfgemeinschaft 2.0, Wohnquartier am Marienpark in Nordhorn)