Am 28.09.2023 um 10.30 Uhr eröffnete Jürgen Graalmann den 10. Deutschen Pflegetag im hub 27 des Messegeländes in Berlin. Mehr als 7.000 Besucherinnen und Besucher verfolgten an zwei Tagen eine Vielzahl von spannenden Fachvorträgen, Workshops oder auch Diskussionsrunden und besuchten die Ausstellung. Was uns besonders freute: Unser ReKo-Projekt hat vor allem am Freitag einen wesentlichen Part des Kongresses eingenommen! Stefanie Göcken als Case Management-Expertin und Thomas Nerlinger in der Rolle als pflegender Angehöriger durften eine große Menge an interessierten Besucherinnen und Besuchern das Case Management aus der Praxis näherbringen (dazu im Verlauf mehr).
„Hier ist auch immer Aufbruchsgeist in der Luft“, lautete die Einschätzung des Gesundheitsministers Dr. Karl Lauterbach in seiner Eröffnungsrede und betonte nochmals die Wichtigkeit des Deutschen Pflegetages bzw. die immense Bedeutung der Profession „Pflege“. Zeitgleich bedankte er sich noch einmal ausdrücklich bei den Pflegekräften für die Leistung während der Corona Pandemie, scheute sich aber auch nicht, die schlechten Nachrichten mit auf die Agenda zu nehmen: Die Zahl der Auszubildenen in der Pflege geht nach einigen Jahren wieder zurück und dass, obwohl die Anzahl der Pflegebedürftigen bei einer sinkenden Zahl von Pflegekräften steigt. Doch der Minister wäre nicht der Minister, wenn er nicht auch gleich Lösungsansätze liefert. Zu diesen Ansätzen zählen die Stärkung des Pflegestudiums, die Gewinnung ausländischer Fachkräfte, in denen ein Überbedarf an Pflegekräfte vorherrscht, oder auch die Steigerung der Tariflöhne. Abschließend begrüßte der Gesundheitsminister, dass sich der Ton in der Pflege geändert habe, von den negativen Äußerung hin zu einem selbstbewussten Auftreten in der Öffentlichkeit.
Als Gastgeberin hat sich selbstverständlich die Präsidentin des Deutschen Pflegerates und auch Beiratsmitglied der Gesundheitsregion EUREGIO e.V. Christine Vogler, nicht nehmen lassen, alle Anwesenden zu begrüßen und Berufspolitisches zu thematisieren. „Ich will und möchte hier nicht jedes Jahr das erzählen, was wir bereits wissen!“, leitete Frau Vogler ihren Vortrag ein und ließ schon vermuten, dass dieser unkonventionell gestaltet sein könnte.
„Wenn wir unsere Ziele nicht erreichen, müssen wir die Methoden ändern (…)!“.Mit diesen Worten startete Frau Vogler eine für alle Besucherinnen und Besucher ungewöhnliche, aber eindrucksvolle Methode, um mehr Gehör zu finden und als Zeichen für Veränderungen gesehen werden kann. Alle vor Ort sollten gemeinsam unterschiedliche Rhythmen zu den Themen Gesellschaft, Pflege, Widerstand und Aufbruch erzeugen. So galt beispielsweise die Gesellschaft als Grundlage unseres Lebens, in dem der Zusammenhalt aller die Basis zur Entstehung von allem ist, als Fels. Ins englische übersetzt bedeutet der Fels „Rock“, wodurch alle im Plenum im typischen 4/4-Takt diesen Rhythmus erzeugen sollten. Am Ende wurden alle Rhythmen zusammengefasst, um ein einziges Kunstwerk zu erschaffen. Verschaffen Sie sich hier gerne ein eigenes Bild.
Während des gesamten Vortrages fand Frau Vogler emotionale Worte und sprach allen Anwesenden aus der Seele. „Professionelle Pflege ist der Herzschlag und die Garantie für ein lebenswertes Leben bei Bedürftigkeit und Krankheit, in der Kindheit bis zum Alter, millionenfach, jeden Tag!“, ist nur ein Zitat, welches bewegte. Unter großen Applaus schloss Frau Vogler die Eröffnungsveranstaltung und wünschte allen viel Spaß und einen spannenden Austausch.
An Themen, die einen spannenden Austausch gewährleisten, hat es während des Pflegetages nicht gemangelt. Unzählige Veranstaltungsarten von Pflege. Up-to-date, über Pflege. Menschlich bis hin zu Pflege. Kompetenten prägten den Kongress, wobei letztere am Freitag vorwiegend in der Hand unserer Case Management-Organisation lag.
Den Anfang machte unsere Koordinatorin des Emslandes, Stefanie Göcken, in der Session „Pflege/Kommunen/Versorgung – ReKo als Innovationsstrategie zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen“. Unter der Moderation von Sophie Rosentreter, Demenz- und Pflege-Botschafterin berichtete und diskutierte Stefanie zusammen mit Prof. Dr. Manfred Hülsken-Giesler (Universität Osnabrück), Christine Vogler, Thomas Bodmer (Vorstandsmitglied der DAK-G) sowie Michael Ranft (Staatssekretär des Landes Brandenburg) über die Erfahrungen und Teilergebnisse des Case Managements in den Modellregionen Grafschaft Bentheim und Emsland. Den Start machte Prof. Hülsken-Gießler mit einem Kurzvortrag zum ReKo-Projekt, in dem erste qualitative Zwischenergebnisse aus der Evaluation beschrieben wurden. „Das Projekt ist großartig und zeigt ja schon in den Ansätzen, dass es wirklich ein Erfolg ist!“, bewertete Frau Vogler darauffolgend das ReKo-Projekt und zollte Stefanie Göcken, stellvertretend für alle an der Umsetzung der Beteiligten großen Respekt für die geleistete Arbeit. Die positiven Auswirkungen des Case Managements sind auch im Land Brandenburg nicht unbemerkt geblieben. „Das Land Brandenburg hat sich zu diesem Projekt bekannt, insofern als wir es im Landkreis Uckermark übernehmen werden – unter den dortigen Rahmenbedingungen.“, versicherte Herr Ranft die Übernahme der ReKo-Ideen im Nordosten Brandenburgs. Gespannt waren die Zuhörerinnen und Zuhörer auf die Erfahrungen von Stefanie Göcken, die aus erster Hand über das Case Management berichtete und allen voran die Arbeit während der Corona-Pandemie hervorhob. „Die pflegenden Angehörigen haben sich einfach allein gelassen gefühlt. Sie hatten keine Tagespflege mehr, sie konnten nicht mehr zu Selbsthilfegruppen gehen, Kirchengemeinden haben zu gemacht. Alles Mögliche, was dieses Sorgenetzwerk bildet, war auf einmal nicht mehr da!“, stellte Stefanie noch einmal ausdrücklich die zusätzlichen Herausforderungen während der Pandemie dar und ergänzte, dass vor allem die Bereitschaft zur Durchführung der Hausbesuche für die Versorgung der Menschen von Bedeutung war und dadurch das Vertrauen zwischen unseren Case Mangerinnen und Case Managern sowie den Klientinnen und Klienten schnell aufgebaut werden konnte.
v.l.n.r.: Sophie Rosentreter, Prof. Dr. Manfred Hülsken-Giesler, Christine Vogler, Michael Ranft, Thomas Bodmer, Stefanie Göcken
Auch Thomas Bodmer schlug in die gleiche Kerbe und fügte scherzhaft hinzu, dass Frau Vogler im G-BA bald entscheiden dürfe, „ob vielleicht unsere Idee und auch unsere Ergebnisse, die sehr tolle Arbeit hier in der Region Grafschaft Bentheim und Emsland auch geleistet wird, dann vielleicht auch in die Regelversorgung kommt.“. Bei all den positiven Eindrücken verläuft selbstverständlich nicht alles reibungslos, vor allem dann, wenn die Themen Finanzierung und Telematikinfrastruktur eingeleitet wurden. Hier gibt es auf allen Seiten Verbesserungspotenziale, um auch nachhaltig die regionale Versorgung zu stärken. Nach einer Stunde spannender und reger Diskussion beendete Sophie Rosentreter die Session, indem sie von jedem Diskutierenden einen Wunsch formuliert als Statement äußern ließ.
In eine für ihn etwas andere Rolle schlüpfte Thomas Nerlinger, Projektleiter des ReKo-Projekts und Geschäftsführer der Gesundheitsregion EUREGIO e.V.. Als Experte im Gesundheitswesen ist Thomas bereits bei vielen Veranstaltungen oder Kongressen gefragt. In dem Workshop „Case Management – eine Stütze für pflegende Angehörige?“, nahm er allerdings die Rolle als pflegender Angehöriger ein. Unter der Moderation von Dr. Lena Marie Wirth (Universität Osnabrück) diskutierten neben Thomas Nerlinger auch Sophie Rosentreter, Prof. Dr. Michael Monzer (Experte Care und Case Management) und Anja Kälin (Vorstandsmitglied Desideria Care e.V.).
v.l.n.r.: Prof. Dr. Michael Monzer, Anja Kälin, Sophie Rosentreter, Dr. Lena Marie Wirth, Thomas Nerlinger
Diese Session im Workshopformat durchzuführen war rückwirkend betrachtet eine sehr gute Entscheidung. Geprägt von vielen Emotionen und leidenschaftlicher Diskussion kommunizierten nicht nur die Diskutanten, sondern ebenfalls die Anwesenden im prall gefüllten Veranstaltungsraum Beta 4, was wiederum die hohe Bedeutung des Themas verdeutlichte. Einen wesentlichen Beitrag für die Emotionalität lieferte Thomas Nerlinger. Nachdem Michael Monzer zunächst das Care und Case Management für pflegende An- & Zugehörige erläuterte und Frau Kälin aus ihrer Arbeit heraus beschrieben hatte, wie das Case Management konkret die Angehörigen entlasten kann, durften alle Anwesenden an der Gefühlswelt von unserem Projektleiter teilhaben. Offen und ehrlich beschrieb er, wie das Case Management seiner Mutter in der schwierigen Lebensphase helfen konnte und sprach dabei vielen Zuhörerinnen und Zuhörern aus der Seele. Er verdeutlichte, dass die Situation vor dem Case Management durch fehlende Unterstützung und nahezu unüberwindbaren bürokratischen Hürden geprägt war und die Arbeit der Case Managerin sehr schnell zu positiven Effekten führte.
Über eine Stunde wurde sich rege ausgetauscht, Vorteile und Herausforderungen bewertet. Am Ende waren sich aber alle einig: Wir brauchen mehr Entlastung für unsere pflegenden An- & Zugehörigen!
Mit vielen positiven Eindrücken endete um ca. 16 Uhr ein ereignisreicher 10. Deutscher Pflegetag.